Genetische Kurzsichtigkeit
Seit Anbruch des genetischen Zeitalters wird uns eingetrichtert, dass wir der Macht unserer Gene unterliegen. Das Gen ist der Träger von Erbinformationen, die durch Reproduktionen an die Nachkommen weitergegeben werden und der Aktivitätszustand eines Gens bestimmt und reguliert die Zelle und steuert damit auch indirekt unsere Lebensvorgänge.
Die wissenschaftliche Annahme ist so lange und so oft wiederholt worden, dass unsere Wissenschaftler vergessen haben, dass es sich dabei um eine Hypothese und nicht um eine Tatsache handelt. Die Hypothese ist bis heute nicht bewiesen! Man könnte in diesen Fall auch von einer genetischen Kurzsichtigkeit sprechen.
Die Gene sind vielmehr eine physische Erinnerung an das, was das betroffene System einmal erfahren und gelernt hat. Um zu verstehen, warum diese oder jene genetische Eigenschaft dominiert, müssen wir die Gesamtheit eines Zellverbandes und ihre materielle Umgebung berücksichtigen.
Vergleichen wir es mit einem Skifahrer, der einen Hang hinuntersaust, und dabei ständig die Beschaffenheit des Geländes berücksichtigen muss, um nicht sein Gleichgewicht zu verlieren. Dabei befindet er sich aber paradoxerweise häufig in einem Zustand des Ungleichgewichts, der es ihm erst ermöglicht, seine Bahn zu entwickeln; er weicht aus, vollführt Manöver, die seinem Können oder zumindest seinem selbst gedachten und erhofften Können entsprechen.
Unsere Lebensentwicklung entspricht damit vielmehr einem „natürlichen driften“ als einer „natürlichen Auslese“ nach Charles Darwin.
Das zeigt uns auch gleich den größten Fehler, der uns in der Betrachtung des menschlichen Daseins unterlaufen ist. Wir haben, neben der „natürlichen Auslese“ nach Charles Darwin, dem direkten Einfluss der Umgebung auf das Handeln des Individuums nicht genug Beachtung geschenkt.
Zweifelslos können manche Krankheiten eindeutig auf einen genetischen Defekt zurück geführt werden. Doch von solchen Krankheiten sind weniger als 2% der Bevölkerung betroffen. Die großen Krankheitsthemen, wie Diabetes, Herzkrankheiten, Krebs und viele andere lassen sich nicht auf ein einzelnes Gen zurückführen, sondern auf eine komplexe Wechselbeziehung zwischen dem Gesamtorganismus und der Umgebung!
Rückblickend erkennen wir heute, dass Darwins Einfluss so groß war, dass sich die Wissenschaft vollkommen auf die Erkundung des Erbmaterials stürzte. Heute ist das menschliche Genom, das aus ungefähr 25.000 Genen besteht, systematisiert und kartographiert. Das Genom eines Fadenwurms besteht aus 24.000 Genen und das Genom von Nagetieren entspricht in der Anzahl der Gene sogar dem der Menschen. Damit hat sich herausgestellt, dass es zwischen der Anzahl der Gene im Menschen und in primitiven Lebewesen keinen wesen-tlichen Unterschied gibt. Was bestimmt dann das menschliche Wesen, wenn die genetische Physiologie eines Menschen die eines Fadenwurms oder einer Maus entspricht?
Der Genetiker und Nobelpreisträger David Baltimore kommentierte 2003 wie folgt: „Unsere Theorie, dass die Gene das Leben steuern, ist im Angesichts der komplexen Wechsel-wirkungen menschlichen Daseins und wir angeblich auf der obersten Stufe der evolutionären Leiter gegenüber einem Fadenwurm stehen, nicht länger haltbar.“
Die Gene bestimmen nicht unser Schicksal, sondern stellen dem Menschen einen Rahmen bereit. Wie weit dieser Rahmen ausgeschöpft wird, bestimmen die Umwelteinflüsse - und ganz besonders die in der Familie herrschenden Verhältnisse.