Das Wesen (-tliche) einer guten Hilfe
Die schlechtesten Resultate erzielen wir immer dort, wo wir am stärksten versuchen, anderen zu helfen. Nehmen wir zum Beispiel die Entwicklungshilfe in Schwarzafrika. Seit den sechziger Jahren sind bereits über 600 Milliarden Dollar Hilfsgelder allein nach Schwarzafrika geflossen. Der Lebensstandard für die Ärmsten hat sich jedoch praktisch nicht verändert, außer vielleicht für eine Handvoll von Diktatoren. Im Gegenteil, Schwarzafrika fällt immer weiter zurück, während andere Kontinente wenigstens im Gleichschritt mit den Industrieländern gewachsen sind.
Dasselbe trifft auch auf unsere Gesundheitshilfe zu. Die zunehmende Medikamentisierung und Technisierung durch eine immer aufwändigere und perfektere medizinische Versorgung hat ebenfalls auf unsere Gesundheit nur wenig Einfluss. Zwar haben wir eine stark angestiegene Lebenserwartung und werden älter als früher, dafür sind wir deutlich kränker.
Nun wäre es selbstverständlich befremdlich, im Angesicht der Bedürftigkeit Anderer, darüber zu streiten, ob es noch schlimmer hätte kommen können, wenn es die Hilfe nicht gegeben hätte. Jedoch den Hilfesuchenden mit Hilfeangeboten und Hilfsgeldern zu überschwemmen ist vielfach nutzlos.
Die Leistungen eines Unternehmens werden ja auch nicht an den Ausgaben gemessen. Was wir allerdings in der Entwicklungshilfe und im Gesundheitswesen machen!
Wirklich wirksame Hilfe sollte demnach nicht an den Ausgaben, sondern an ihren Resultaten gemessen werden.
Warum versagt Hilfe in den meisten Fällen? Sobald der Antrieb von Seiten der Helfer initiiert ist, artet die Hilfe zu etwas künstlichem aus, zu einem Kunstwerk des Helfers, bei dem der Bedürftige nichts dazu beigetragen hat.
Nehmen wir noch einmal als Beispiel die Entwicklungshilfe in Schwarzafrika: In winzige Dörfer und Vorzeigeprojekte wird massenhaft Geld hineingepumpt, Spitzenfachleute, die sich um alle Probleme kümmern, werden eingeflogen - nicht zu vergessen all die Filmstars und wichtigen Persönlichkeiten - und dann wird behauptet, so wie in dem Vorzeigedorf mit 5000 Personen, könne man die Probleme von 700 Millionen Afrikanern lösen. Doch sobald die Fachleute und Filmstars und damit auch die Öffentlichkeit weg sind, bricht das von Helfern konstruierte Kunstwerk zusammen. Der Bedürftige ist in seiner ursächlichen, individuellen Geschichte und der damit verbundenen Verantwortung zur Selbstklärung beraubt.
Am Beispiel aus dem Gesundheitswesen mag es noch deutlicher werden. Wer den Arzt wegen nervöser Magenbeschwerden aufsucht, bekommt heute in der Regel ein Psychopharmaka, das eine sogenannte psychovegetative Entkopplung bewirkt. Diese Art von Schmerzbeseitigung, die die ursächliche, individuelle Geschichte des Betroffenen nicht berücksichtigt, ist von zeitlich begrenzter Wirkung. Bildlich ausgedrückt: Statt das Feuer zu bekämpfen, wurde der Brandmelder abgeschaltet.
Die Magenbeschwerden wurden nicht als Hinweis auf eine ursächliche, individuelle Geschichte verstanden, sondern wurden mit einem Medikament abgeschaltet. Damit ist aber noch nicht die Ursache gefunden bzw. geklärt.
Der nächste Eskalationsschritt der Schulmedizin wäre die vegetative Entkopplung chirurgischer Art. Ist es auch dafür schon zu spät, werden ein oder zwei Drittel des gestressten Magens weggeschnitten. Was nicht mehr ist, kann nicht mehr wehtun. Doch bald stellen sich mit einem solcherart verkleinerten Magen Verdauungsprobleme ein.
Die Tragödie dabei ist, dass diese Art der Hilfe für den Helfer funktioniert, nicht für den Bedürftigen selbst. Egal ob es sich um Entwicklungshilfe oder Gesundheitshilfe handelt. Der Helfer kann allen sagen: Hier ist dies oder jenes furchtbare Problem, und wir versuchen es zu lösen. Das macht Eindruck und verschafft lediglich dem Helfer selbst sein eigenes Wohlfühlprogramm und sichert das eigene Überleben ab.
Wirklich wirksame Hilfe kann nicht „an sich“ für ein Ende von Armut und Krankheit sorgen, sondern nur „am Anderen“ Erkenntnisse und Entwicklung schaffen, bis der Andere seinen ganz eigenen Weg aus der körperlichen-seelischen Gefangenschaft beschreitet.
Wir müssen in der Hilfe davon wegkommen, das ganze System des Hilfesuchenden transformieren zu wollen. Wir sollten aufhören, bei jedem den Oberhelfer zuspielen. Und wir sollten die Arroganz und die utopischen Ambitionen ablegen, den Bedürftigen und sein ganzes System ändern zu wollen. Dann kann Hilfe allein schon dadurch mehr Gutes tun, indem sie sich auf kleine Schritte, die von dem Bedürftigen in seiner ganz persönlichen Wahrnehmung und Wahrheit eigenverantwortlich selbst gegangen werden, konzentriert.
Dies ist im Gegensatz zum „Ansatz des Planens“ der Utopisten ein „Ansatz des Suchen“ nach der Ursache in der individuellen Geschichte des Hilfesuchenden.